Neue Materialen und Werkstoffe können dazu beitragen, negative Umwelteinflüsse zu vermeiden. Im Idealfall entstehen auch stärker regionalverankerte Wertschöpfungsketten und energiearme Stoffkreisläufe. Das Team von MycoLutions arbeitet an einer solchen Lösung – auf der Basis von Pilzen. Wichtige Zutat dabei: lokale Reststoffe wie Kaffeesatz! Redakteur Olaf Ledderboge berichtet von einem innovativen Startup, welches an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg angedockt hat, vom dortigen Gründungsservice sowie beyourpilot (ab Juli 2023 unter der Marke „Startup Port”) unterstützt wird und eine umweltfreundliche Schalldämmung zur Marktreife bringen will.
Unser Wohlbefinden und die Gesundheit hängen unglaublich eng mit der Qualität unserer Wohn- und Arbeitsorte zusammen. Lärmschutz und Raumakustik spielen eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsicherheit und wenn es darum geht, produktive und gesunde Räumlichkeiten zu gestalten. Die Pilzenthusiasten Thies Lingner, David Gradl, Theresa Oberstraß, Felix Schimmeyer und Helge Schritt arbeiten jetzt daran mit ihrem Startup „MycoLutions“ aus Pilzmyzel eine umweltschonende und raumklimafreundliche Schalldämmung zu entwickeln. Kennengelernt haben sie sich noch im Studium, wo sie die Idee geschlossener Stoff- und Produktkreisläufe fasziniert hat. Seither beschäftigt sie die Frage, wie man Produkte so herstellt, dass keine Abfälle entstehen? Die vollständig recyclebar sind? Die vielleicht selbst auf den Abfällen andere Produkte basieren?
Finanzielle Unterstützung und Know-how
Um das herauszufinden, bekommt das Startup nun ein Jahr lang das EXIST-Gründungsstipendium. Das Team wurde bei der erfolgreichen Bewerbung von der beyourpilot-Gründungsberaterin Lisa Jessen unterstützt. Die Förderung umfasst direkte finanzielle Unterstützung, also Personalkosten und Sachmittel, aber auch den Zugang zu Räumen und Ressourcen an der Hochschule. Ein wichtiger Teil der Förderung für das Team ist auch die Betreuung durch Wissenschaftspartnerinnen und -partner: So wird das Team durch den Mentor Professor Friedrich Ueberle, der Experte auf dem Fachgebiet der Akustik, des Lärmschutzes und der Lärmmesstechnik ist, unterstützt.
Umweltfreundliche Materialien gesucht
Viele Werkstoffe und Materialen, mit denen wir alltäglich zu tun haben, basieren als Kunststoffe unter anderem auf Erdöl als Ausgangsstoff. Neben zahlreichen Vorteilen bei der Nutzung haben diese Alltagskunststoffe auch Nachteile. Punkte wie Umweltverträglichkeit, Recyclingfähigkeit, Energie- und Rohstoffeinsatz bei der Herstellung und je nach Material sogar einer Giftwirkung im menschlichen Organismus, spielen bei der Beurteilung der Materialien eine wichtige Rolle. Weltweit ist man deswegen auf der Suche nach umweltfreundlicheren Alternativen. Eine dieser Alternativen sind Materialien auf der Basis von Pilzen oder besser dem Pilzmyzel.
Pilzmyzel als biologischer Werkstoff
Als Myzel bezeichnet man dabei das Gesamtgeflecht der Zellen, die einen Pilz-Organismus ausmachen. Im Gegensatz zum oft kompakten Fruchtkörper – das ist der Teil des Pilzes, den wir bei Speisepilzen essen – kann das Pilzmyzel ein sehr weitreichendes und engmaschiges Geflecht ausbilden. Dieses Geflecht kann man trocknen und aufarbeiten, so dass vielseitige Materialformen und Eigenschaften möglich werden. Realistisch sind jetzt bereits Eigenschaften, ähnlich dem von Schaumkunststoffen, die zum Beispiel für die Gebäudedämmung, als Verpackungsschutz oder als Schallabsorber zum Einsatz kommen könnten.
Die Idee kam bei der Masterarbeit und mit Kaffeesatz
Schon im Studium erkennt beispielsweise Helge Schritt die Möglichkeiten von Pilzen als Grundlage für neue, umweltfreundliche Materialien. In seiner Master-Arbeit befasste er sich mit einer Untersuchung zum Nutzungspotential von Alt-Substrat. Dieses Material ist der Anzuchtstoff der in den Pilzzuchtbetrieben anfällt. Die Pilze wachsen zum Beispiel sehr gut auf einer Mischung aus Holzhäckseln, Stroh und weiteren organischen Nährstoffen. Sehr gut eignet sich auch Kaffeesatz als Nährstoffergänzung, der ja zum Beispiel in der Gastronomie in größeren Mengen anfällt. Das Material regt nicht nur die Phantasie von Helge Schritt an, recht schnell finden sich weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter, MycoLutions entsteht.
Das Netzwerk
Zwischen Hamburg und Lüneburg hat sich in den letzten Jahren eine kleine aber feine Pilz-Szene entwickelt. Die Projekte liegen dabei irgendwo zwischen Tüftler-Garage und umweltwissenschaftlichen Labor-Forschungen. So findet ein Teil von MycoLutions Forschungsarbeit im gemeinnützigen Verein der Curious Community Labs e. V. im Hamburger Oberhafen statt. Beteiligt sind aber auch bereits etablierte Zuchtbetriebe für Speisepilze. Während die eine Gruppe vom Potenzial der Pilze als Baumaterial oder Spezialwerkstoff schwärmt, nutzen die anderen ihre Expertise, um in größerem oder kleineren Umfang Speisepilze zu züchten. Ein aktuelles Projekt aus Hamburg – ebenfalls mit Beteiligung vom Team MycoLutions ist „Grünes Wasser“. Auf Basis von Myzel-Schwimmkörpern werden derzeit alte Hafenindustrie-Kanäle und Fleete testweise und wissenschaftlich begleitet mit schwimmenden Wasserpflanzeninseln renaturiert.