Dr. Andrea Otto hat über acht Jahre in der Gründungsberatung von wissenschaftlichen Startups gearbeitet. Im vergangenen Sommer beendete sie ihre Tätigkeit bei beyourpilot (seit Juli 2023 unter der Marke Startup Port) und ging in den wohlverdienten Ruhestand. Wir haben sie zu ihren Erfahrungen befragt.
Wie bist du zur Gründungsunterstützung gekommen?
„Nach 20 Jahren im Marketing und Vertrieb der Life Science-Industrie hatte ich Lust auf Veränderung, ich wollte noch etwas “Neues” bewegen. Mir schwebte vor, weiterhin mit Teams zusammenzuarbeiten und dabei idealerweise meine Erfahrungen aus wissenschaftlichen und industriellen Tätigkeiten einbringen zu können. Ende 2013 stieß ich auf eine Ausschreibung des Startup Dock, welches sich im Rahmen der EXIST-Förderung an der TUHH aufbaute. Die Stellenanzeige für Gründungsberatung klang spannend und vielversprechend. Ich hatte sofort ein gutes Bauchgefühl und wusste, dass dies etwas für mich sein könnte.
Im Mai 2014 bin ich dann als Gründungsberaterin im Startup Dock eingestiegen und war Teil des Teams der ersten Stunde. Die Arbeit hat mir sofort großen Spaß gemacht. Wir waren ein Team, das sich mit viel Herzblut, Motivation, Engagement und vielseitigen Erfahrungen daran gemacht hat, Gründungen an der TUHH und in Hamburg zu motivieren, zu fördern und zu unterstützen.“
Kannst du ungefähr sagen, wie viele Gründungen du im Laufe der Zeit betreut hast?
„Über die Jahre kann ich das nicht mehr so genau sagen, aber es waren wirklich sehr viele Projekte. Manchmal benötigten die Gründungsinteressierten dabei nur eine kurze Beratung, z.B. bei der Entwicklung eines Geschäftsmodells oder beim Aufbau eines Pitch Decks, um anschließend alleine weiterzugehen. Bei anderen Gründungsprojekten wurden die Teams nach ersten Beratungsgesprächen in unser spezielles Betreuungsprogramm aufgenommen, um sie über eine längere Zeit intensiv zu beraten, zu qualifizieren und zu unterstützen.“
An welche Startups erinnerst du dich besonders? Welche Projekte hast Du intensiver betreut?
„Intensiv betreut und über ca. anderthalb bis zwei Jahre begleitet habe ich u.a. zahlreiche spannende Gründungsprojekte vor und während ihrer EXIST-Förderung, wie beispielsweise bentekk (Mobiler Gaschromatograph), nüwiel (E-Fahrradanhänger), Jetlite (Jetlag reduzierendes Lichtsystem), Bluebird Mountain (Lawinenrettungs-Drohne), Beagle Systems (Vollautonome Langstreckendrohnen) , Suena (Batteriespeicher Systemoptimierung), Mo:re (Innovative 3D-Zellkultur), Colipi (CO2-neutrale Lipid-Produktion) sowie n2 Photonics (Innovative Laser-Technologie).“
Welches deiner betreuten Startups war das erfolgreichste?
„Das kann ich nicht wirklich für ein einzelnes Projekt beantworten. Als Beispiel könnte ich den Verkauf von bentekk an Dräger nennen, mit dem das Gründerteam einen erfolgreichen Exit realisieren konnte. Andere Startups wie nüwiel, Jetlite, Beagle Systems und suena haben ihre Unternehmen in Hamburg gegründet und sind mittlerweile ebenfalls sehr erfolgreich im Markt tätig.“
Sicherlich gab es in der Zusammenarbeit auch Projekte, bei denen es aus verschiedenen Gründen nicht zu einer Ausgründung gekommen ist, die aber aus deiner Sicht sehr spannende Produkt- und Geschäftsideen hatten. Kannst du uns interessante Beispiele nennen?
“Da fällt mir beispielsweise die Gründungsidee für einen innovativen Pflegerollstuhl ein. Das Team habe ich im Rahmen des NIT eTrack-Programms kennengelernt und beraten. Beide Jungs haben das vielversprechende Gründungsvorhaben nach Abschluss ihres Masterstudiums aber leider nicht weitergeführt, da sie zunächst Jobs in Anstellung annehmen wollten, um erste Berufserfahrungen in der Industrie sammeln zu können.
Sehr spannend fand ich auch die Gründungsidee zur Fäkalschlammverwertung mit Insekten – hier wurde leider keine EXIST-Förderung erreicht, da das Projekt noch umfangreiche wissenschaftliche Grundlagenforschung erforderte und im Rahmen eines Gründungsstipendiums als nicht umsetzbar bewertet wurde.,. Begeistert hat mich auch die Idee eines Roboters für Fassadenmalerei – ein erster Prototyp wurde bereits im Rahmen der Masterarbeiten von zwei Teammitgliedern entwickelt. Dann trennte sich das Team jedoch und das Projekt wurde nicht weiterverfolgt.”
Welche Thematik interessiert Dich persönlich bei den Geschäftsideen der Startups am meisten?
„Als Naturwissenschaftlerin mit mehrjähriger Labor- und Industrietätigkeit in den Life Sciences schlägt mein Herz natürlich immer sehr für Projekte im Bereich Biotechnologie und Medizin. Hier fühle ich mich mit meinem fachlichen Hintergrund und meinen Erfahrungen schnell „zu Hause“. Offen war ich aber auch immer für die eher fachfremden Projekte. Die außerordentliche Vielfalt und Hochtechnologie im Ingenieurwesen hat mich in all den Jahren als Gründungsberaterin sehr begeistert und beeindruckt; ich habe mich in viele verschiedene Projekte eingearbeitet und konnte so bei der Beratung & Betreuung der Teams und der Umsetzung ihrer technologischen Produktideen selbst sehr viel lernen. Besonders spannend fand ich dabei u.a. die zahlreichen Hardware-Projekte sowie die KI- und VR-assoziierten Projekte.“
Sind die betreuten Startups für Deine Hinweise generell zugänglich oder gab es da auch manchmal Diskussionen?
„Ja, ich denke schon; die von mir betreuten Gründungsteams waren aus meiner Sicht immer sehr zugänglich sowohl für meine positiven Kommentare wie auch für meine Kritik- und Anregungspunkte. Als Gründungsberaterin bin ich immer offen und ehrlich mit den Teams umgegangen, habe Klartext gesprochen und sie bisweilen sehr gefordert, dabei aber auch immer konstruktive Erklärungen, Hinweise und Ratschläge gegeben. Das wurde von meinen betreuten Teams zumeist gut aufgenommen und umgesetzt. Ich glaube, sie wussten auch, dass sie hundertprozentig auf meine zuverlässige Unterstützung zählen konnten. Generell kann ich sagen, dass die Zusammenarbeit mit den Teams immer und gegenseitig geprägt war von offener und konstruktiver Kommunikation, Vertrauen und Verantwortungsbewusstsein. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht und unser Miteinander gestärkt! Dabei haben mich viele Gründer mit ihrer großen Begeisterung für das Projekt, ihrem starken Willen zum Erfolg, sowie ihrer Zielstrebigkeit und Durchsetzungskraft auch sehr beeindruckt.
Zudem hat mich immer sehr gefreut, wenn mich die Gründungsinteressierten, bzw. Gründerinnen oder Gründer auch nach Jahren wieder kontaktiert haben, sich einfach wieder mal bei mir melden wollten oder auch konkrete Fragen oder Beratungswünsche zu einem neuen Projekt hatten.“
Hast Du schon mal ein Startup abgelehnt?
„In meinen 8 Jahren als Gründungsberaterin habe ich die Beratung bei drei oder vier Projekten aus verschiedenen Beweggründen abgelehnt bzw. abgebrochen. Die offensichtliche Beratungsresistenz der Gründer und Gründerinnen und ihr „Unwillen“, effizient und zuverlässig zu kooperieren, spielten dabei u.a. eine wichtige Rolle. Bei einem der Projekte lagen zudem gravierende ethische Bedenken meinerseits vor.“
Hast Du selber schon mal überlegt, Dich einem Startup anzuschließen?
„Nein, nicht als direktes Teammitglied. Ich könnte mir aber vorstellen, weiterhin meine Unterstützung als externe Beraterin und Mentorin anzubieten oder in einem Beirat mitzuarbeiten.“
Hast Du selber schon mal einen Gründungsversuch gestartet, beziehungsweise schon mal eine Idee gehabt?
„Nein, beides noch nicht.
Ich war aber während meiner Zeit in der Industrie verschiedene Male daran beteiligt (auch als Teammitglied der 1. Stunde), für amerikanische Konzerne Niederlassungen in Deutschland oder Europa aufzubauen. Für mich war und ist es immer sehr spannend und motivierend, etwas Neues aufzubauen. Ich bin dann immer mit großer Leidenschaft dabei.
Meine Tätigkeit als Gründungsberaterin in den letzten acht Jahren war für mich genau das Richtige und ein Gewinn. Ich konnte meine Erfahrungen und Kenntnisse aus meiner Industrietätigkeit im Vertrieb, Marketing und Management mit den Gründerinnen und Gründern teilen und sie beim Aufbau ihres eigenen Startup-Unternehmens mit Beratung und Coaching ein Stück des Weges begleiten. Das hat mir sehr viel Freude gemacht!“
Was war für Dich die größte Herausforderung Deines Jobs?
„Das war definitiv der Teamaufbau, die Teamentwicklung und das Team-Coaching. Das richtig aufgestellte Team mit möglichst komplementären Fachkompetenzen und Erfahrungen sowie die gute, zuverlässige und vertrauensvolle Zusammenarbeit der einzelnen Gründenden innerhalb dieser Konstellation sind von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Umsetzung der Unternehmensgründung. Kapitalgeberinnen und Kapitalgeber schauen immer sehr genau auf das Gründungsteam. Exzellente Produkt- und Geschäftsideen können durchaus scheitern, wenn das Team nicht passt und/oder nicht kooperativ und zielorientiert miteinander funktioniert.
In der Gründungsberatung habe ich neben der Bewertung von Produktideen und deren wirtschaftlichen Erfolgsaussichten immer einen starken Fokus auf Teambildung und Teamentwicklung gelegt. Hierbei spielten auch Team-Mentoring und Team-Coaching eine wichtige Rolle. Gravierende teaminterne Unstimmigkeiten, die bei einigen Teams früher oder später im Laufe der gemeinsamen Arbeit auftraten und das Gründungsvorhaben blockierten bzw. fast zum Abbruch führten, erforderten wiederholt umfangreiche Coaching- und Moderationsmaßnahmen zur Lösungsfindung. Letztlich konnten viele Gründerinnen und Gründer die herausfordernden Krisensituationen auch als Chance erkennen, neue Wege zu gehen, sich neu zu strukturieren, die Situation zu entspannen, Blockaden und Probleme aufzulösen und das Projekt gemeinsam weiterzuführen. Für mich war es dabei immer ein großer Vertrauensbeweis, wenn die Gründerinnen und Gründer auf mich zukamen, weil sie Beratung, Moderation und Coaching bei der Konfliktbewältigung suchten und brauchten.“
Was hast Du an Deinem Job am meisten geschätzt?
“Ich freue mich noch heute darüber und schätze es sehr, dass ich als Gründungsberaterin acht spannende, sehr abwechslungsreiche, oft herausfordernde, aber immer begeisternde und gewinnbringende Jahre erleben konnte! Ich habe es immer sehr genossen, unsere Gründerinnen und Gründer ein Stück auf ihrem Weg zum eigenen Unternehmen begleiten zu dürfen und die “Startup-Babys” wachsen zu sehen – ich habe mich dabei oft wie ihre „Business-Mama“ gefühlt. Das hat sehr viel Spaß gemacht, vor allem mit den Kolleginnen und Kollegen von beyourpilot und den anderen Akteuren des Hamburger Startup-Ökosystems! Ich habe in den letzten Jahren wirklich viele wunderbare Menschen kennengelernt und mit ihnen zusammengearbeitet. Daher an dieser Stelle noch einmal ein Dankeschön an alle für die gemeinsame Zeit, die tolle Zusammenarbeit und das vertrauensvolle und inspirierende Miteinander!”
Wie hat sich Dein Alltag verändert, seitdem Du beyourpilot verlassen hast?
“Dieses Jahr planen mein Mann und ich zum Beispiel eine längere Reise durch Frankreich. Wir wollen die Bretagne und die Atlantikküste kennenlernen, endlich die blühenden Lavendelfelder in der Provence sehen und vielleicht dort auch wieder mit dem Rennrad unterwegs sein. Deshalb bin ich gerade fleißig dabei, mein Französisch aufzupolieren. Vielleicht schaffe ich es bis dahin, etwas mehr als „Anfängerin“ zu sein und mich an eine richtige Kommunikation mit den Franzosen zu wagen!”
Verfolgst Du die Schicksale Deiner ehemals betreuten Startups noch im Ruhestand?
“Aber natürlich – es interessiert mich nach wie vor sehr, wie die Teams mit ihren Unternehmen vorankommen! Das Thema Scientific Entrepreneurship wird mir definitiv weiter am Herzen liegen…”
Vielen Dank für das Gespräch und Deine hervorragende Arbeit,
Dir weiterhin alles Gute!
Über Dr. Andrea Otto:
Andrea Otto, geboren im November 1957, ist promovierte Biologin mit mehrjähriger Labortätigkeit in der Krebsforschung. Sie verfügt über 20 Jahre Management- und Führungserfahrung in der Life Science & Healthcare Industrie (Vertrieb, Marketing & Business Management in Deutschland, Europa, weltweit). . Als Gründungsberaterin hat sie in den letzten acht Jahren zahlreiche technologieorientierte Innovations- und Gründungsprojekte an Hamburger Hochschulen unterstützt und auf dem Weg zur Unternehmensgründung begleitet.