9,9 Milliarden Euro Risikokapital gab es für deutsche Startups im Jahr 2022, das bedeutet einen Rückgang um 43 Prozent im Vergleich zum Rekordjahr 2021. Dennoch ist es mit Deals im Gesamtvolumen von fast 10 Milliarden Euro das zweiterfolgreichste Jahr für die Startup-Branche in Deutschland überhaupt. Diese und weitere Ergebnisse ermittelte die aktuelle EY-Studie.
Deutsche Jungunternehmen haben 2022 deutlich weniger frisches Kapital erhalten als im Jahr zuvor. Ursache sind unter anderem steigende Zinsen, sinkende Bewertungen und zurückhaltende Investoren. 9,9 Milliarden Euro flossen insgesamt in deutsche Startups, das sind 43 Prozent weniger als im Rekordjahr 2021, wo 17,4 Milliarden Euro investiert wurden. Dies ist allerdings immerhin der zweithöchste Wert für ein ganzes Jahr, seit EY 2015 mit der Erhebung dieser Daten begonnen hat. Zudem war die Zahl der Deals im vergangenen Jahr niedriger als 2021: Sie sank von 1.160 auf 1.008 Deals. Dennoch war dies das zweite Jahr in Folge, in dem die Marke von 1.000 Abschlüssen in einem einzigen Jahr überschritten wurde.
Die aktuellen Zahlen erklären sich vor allem durch den Rückgang der großen Deals von mehr als 50 Millionen Euro. Waren es im Jahr 2021 noch 72 Investitionen dieser Größenordnung (davon 33 über 100 Millionen Euro), so waren es im vergangenen Jahr mit 37 (davon 19 über 100 Millionen Euro) nur noch etwa halb so viele. Positiv zu vermerken ist hingegen, dass die Deals im Bereich zwischen fünf und 50 Millionen Euro im Vergleich zu 2021 gestiegen sind: von 228 auf 246.
Mit Deals im Gesamtvolumen von fast 10 Milliarden Euro stellt 2022 das zweiterfolgreichste Jahr für die Startup-Branche in Deutschland überhaupt dar. Und das in einer von geopolitischen Herausforderungen, hohem Inflationsdruck und steigenden Zinsen geprägten Zeit. „Es wird weiter investiert – wenn auch weniger und unter anderen Voraussetzungen. Denn was sich verändert hat, sind die Rahmenbedingungen: Angesichts steigender Kapitalkosten und sinkender Bewertungen achten Investoren mehr auf Rentabilität als auf langfristige Wachstumsversprechen. Jungunternehmen sind gefordert, sich darauf einzustellen und einen klaren Weg zur Profitabilität aufzuzeigen“, erklärt Dr. Thomas Prüver, Partner bei EY.
Investitionsvolumen in Hamburg nahm leicht zu
Die Startups der Hauptstadt konnten erneut mit Abstand am meisten Risikokapital einsammeln: 4,9 Milliarden Euro wurden im vergangenen Jahr in Berliner Jungunternehmen investiert. Im Jahr 2021 war mit 10,5 Milliarden mehr als doppelt so viel investiert worden. Ähnlich sieht es in Bayern aus, hier halbierte sich das investierte Kapital im Vergleich zum Vorjahr fast: 2,4 Milliarden im Jahr 2022 stehen 4,4 Milliarden Euro im Jahr 2021 gegenüber. Dahinter folgen mit deutlichem Abstand Baden-Württemberg (646 Millionen Euro) und Hamburg (547 Millionen Euro). Erfreulich: In diesen beiden Bundesländern nahm das Investitionsvolumen sogar leicht zu.
Bei der Anzahl der Deals belegt Berlin ebenfalls den ersten Platz: Die Hauptstadt zählte 390 Finanzierungsrunden, das sind 39 Prozent aller Deals insgesamt und fast genauso viele wie in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg – die auf der Deal-Rangliste direkt hinter Berlin liegen – zusammen. An den Topwert des Rekordjahres 2021, als 503 Abschlüsse erzielt wurde, reichten die Jungunternehmen der Hauptstadt nicht heran.
Starker Rückgang bei Finanz- und Versicherungstechnologie
Der Bereich Software & Analytics sammelte 2022 am meisten Risikokapital ein – und das mit Abstand: 3,2 Milliarden Euro sind auch ein verhältnismäßig stabiler Wert gegenüber der Summe von 2021, als die Branche 3,6 Milliarden Euro erhielt. Deutlich stärker ist der Rückgang dagegen im Bereich FinTech/InsurTech (1,3 Milliarden Euro, minus 65 Prozent). Darüber hinaus gehören auch die Bereiche Mobility (1,4 Milliarden Euro) und Energy (1,1 Milliarden Euro) zum Milliarden-Zirkel der Startup-Branchen. 2021 war der Bereich E-Commerce noch Teil dieses Zirkels, 3,7 Milliarden Euro flossen in den Sektor. 2022 waren es dagegen nur noch 635 Millionen Euro – ein Minus von 83 Prozent.
Von den zehn größten Finanzierungsrunden gingen sechs nach Berlin, zwei nach Bayern und jeweils eine nach Hamburg und Hessen. Die höchste Summe – 399 Millionen Euro – floss zwei Mal: Zum einen an das Berliner InsurTech-Unternehmen wefox, zum anderen an das Software-Startup Celonis aus Bayern.
„Es gab im vergangenen Jahr durchaus noch Großdeals – allerdings nicht mehr so viele wie im Boom-Jahr 2021. Für das Startup-Ökosystem ist aber noch wichtiger: Die Zahl der mittelgroßen Deals ist sogar gestiegen. Das zeigt, dass es für Jungunternehmen nach wie vor absolut möglich ist, auch hohe Summen zu erhalten, mit denen Wachstum finanziert werden kann“, schließt Dr. Thomas Prüver.
Startups mit Nachhaltigkeitsfokus erhalten 1,5 Milliarden
Mehr als 1,5 Milliarden Euro wurden 2022 in Startups mit Sustainability-Fokus investiert, das sind 15 Prozent des Gesamtfinanzierungsvolumens. Am höchsten war der Anteil der Finanzierungsrunden, an denen Startups mit Nachhaltigkeitsaspekten beteiligt waren, in den Sektoren Energy (72 Prozent) und AgTech (57 Prozent).
Grundlage für die im Artikel getroffenen Aussagen und Einschätzungen ist das Startup-Barometer der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young). Die Studie basiert auf einer Analyse der Investitionen in deutsche Startups. Als Startups werden dabei grundsätzlich Unternehmen gewertet, die nicht älter als zehn Jahre sind.
Das aktuelle Startup-Barometer gibt es hier.